Liebe Frau Baron, wie geht es Ihnen und Ihren Kollegen mit den Büffelböcken? Was hat sich getan?
Sehr gut geht es uns. Wir konnten im Mai 2019 eine weitere Kollegin anstellen und haben mit Edita nun eine wertvolle Mitarbeiterin mit Hortleitungserfahrungen, die sich nur um das Wohl und Weiterkommen unserer Lernbetreuungskinder kümmert. Mit ihrer Erfahrung ist es ihr ein Leichtes, gezielt Strukturen in unser Angebot zu integrieren. Dass es uns finanziell möglich war, Edita einzustellen, bedeutet für uns, dass wir noch weitere Kinder aufnehmen können.
Warum ist es so wichtig, den Kindern diese Unterstützung zukommen zu lassen?
Eine Chance auf einen Nachmittagsbetreuungsplatz hat man in Wien, wenn beide Eltern berufstätig sind. Und auch dann ist es sehr schwer. Wir betreuen aber Flüchtlingskinder in Grundversorgung, das heißt ihre Eltern haben keine Arbeitserlaubnis und zu wenig Einkommen, um selbst einen Hortplatz zu finanzieren.
Die Rechnung ist simpel: Eine 4-köpfige Familie hat derzeit monatlich insgesamt Anspruch auf ca. 830€. Damit müssen Wohnen, Essen, alles bezahlt werden – ein Hortplatz ist da schlichtweg nicht leistbar. Deshalb brauchen diese Familien unsere Unterstützung. Kinder lernen unglaublich schnell. Wir haben mehrere Beispiele, bei denen es uns innerhalb eines Jahres gelungen ist, Kinder, die von Behördenwegen der Sonderschule zugewiesen wurden, wieder für den normalen Regelunterricht zu qualifizieren. JA, dafür ist besonderes Engagement nötig, denn NEIN, diese Kinder können wir nicht einfach zurücklassen nur, weil es ihnen durch ihre Flucht nicht möglich war, in eine Schule zu gehen. Je später man damit beginnt, diese Kinder zu fördern, desto mehr Chancen auf eine selbstbestimmte, erfolgreiche Zukunft nimmt man ihnen.
Welche Steine müssen aus dem Weg geräumt werden?
Es muss klar sein, dass Kinder, die mehrsprachig aufwachsen, einen Schatz in sich tragen. Sie können der Schlüssel zu einer multikulturellen, harmonischen Gesellschaft sein.
Leider haben viele dieser Kinder aber erhebliche Sprachdefizite, weil sie aufgrund des Krieges keine Schule besuchen konnten: im Deutschen und in ihrer Muttersprache. Hier rede ich aber nicht nur von Kindern, die mit ihrer Familie geflüchtet sind, dies betrifft genauso Kinder mit Migrationshintergrund, die in Österreich geboren wurden und auch hier zur Schule gehen. Was es braucht, ist der Wille eines jeden einzelnen, mitten in einer bunten Gesellschaft zu leben und die Einsicht, dass jedes Kind in einem ersten Schritt seine Muttersprache beherrschen muss, um in einem zweiten auch eine Zweit- und Drittsprache zu lernen. Ein multikultureller Freundeskreis ist eine große Bereicherung für unsere Gesellschaft. Was gibt es Tolleres, als wenn mein Kind ganz nebenbei jeden Tag fünf neue englische/französische/arabische Wörter rezitiert, die es im Kindergarten gelernt hat?
„Jeder kann helfen. Jeder, jedem.“ – Ute Bock
Was würden Sie sich von der Politik wünschen?
Wir wünschen uns, dass jedes Kind auf der Flucht, sobald es nach Österreich kommt, Anspruch auf einen Kindergartenplatz hat. In einem deutschsprachigen Umfeld zu sein, zu lernen und zu spielen, ist Grundvoraussetzung für eine rasche und gelingende Integration. Von der Politik wünsche ich mir mehr UnterstützungslehrerInnen, mehr PsychologInnen und SozialarbeiterInnen in den Schulen. Brückenklassen halten wir, so wie führende ExpertInnen, für keine gute Lösung.
Wie können wir uns einen typischen Büffelbock vorstellen?
Die/der typische BüffelböckIn hat Fluchterfahrung und seine Familie bezieht Grundversorgung. Sie/er ist zwischen 6 und 12 Jahren alt, kommt aus Syrien, Tschetschenien, Afghanistan, dem Jemen, Ägypten oder dem Irak und kann Deutsch immer um ein Vielfaches besser als seine Eltern. Die Kinder gehen zu ca. 85% in eine normale Volksschule oder eine Neue Mittelschule. Einige wenige sind in Sonderpädagogischen Lehrplänen und eine Schülerin geht sogar ins Gymnasium. Wie alle Kinder ist sie/er meistens gut gelaunt, hat manchmal keine Lust zum Lesen üben und kennt die aktuellsten Videospiele und Rapper – eben ein ganz normales Kind!
Übernehmen Büffelböcke auch Aufgaben in ihren Familien?
Ja und das nicht zu knapp. Neben den traditionellen Aufgaben, übernehmen die Kinder zusätzlich Aufgaben, die nicht ihrem Alter entsprechen. Da die Kinder um ein Vielfaches besser Deutsch sprechen, unterstützen sie ihre Eltern bei Arztbesuchen und Behördenwegen. Auch bei anderen wichtigen Terminen sind sie die DolmetscherInnen für ihre Eltern. Was viele Kinder psychisch an ihre Grenzen bringt. Gleichzeitig sind die Kinder auch ein Motivator für die Eltern, ihr Deutsch selbst voran zu treiben. Es sind nicht selten die Kinder, die ihren Eltern empfehlen Deutschkurse zu besuchen, um ihre Chancen zu verbessern.
Fakten, die aufhorchen lassen?
Das Ute Bock Bildungszentrum zeigt auf, was man mit viel Engagement und wenig Geld erreichen kann: Mit nur 3 Festangestellten und über 50 Freiwilligen bieten wir dort 30 Kindern mit Fluchterfahrung 5x pro Woche einen kostenlosen Hortplatz und weiteren 550 Erwachsenen, die sich selbst keinen Deutschkurs leisten können und von Rechtswegen keinen Anspruch auf einen geförderten Platz haben, die Möglichkeit, kostenlos Deutsch zu lernen. Darüber hinaus gibt es zwei Mathematikkurse, drei Englischkurse und zwei Computerkurse für Erwachsene, die sie auf Jobs und Ausbildungen vorbereiten. Worauf wir gerade besonders stolz sind? Keiner unserer Büffelböcke muss dieses Jahr die Klasse wiederholen!
Was braucht es neben dem lieben Geld noch?
Eine gelungene Vernetzung und das Wissen, wie man Ressourcen bestmöglich zum Wohl der Allgemeinheit nutzt. Im Idealfall gelingt es, eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten zu schaffen. So ist es uns kürzlich gelungen, eine Kooperation mit der Pädagogischen Hochschule (PH) aufzubauen: Erstsemestrige der PH können nun erstmals auch bei uns ihr Pflichtpraktikum absolvieren.
Darüber hinaus suchen wir immer motivierte freiwillige HelferInnen, die bereit sind, mit den Kindern zu lernen und sie bei den Hausaufgaben zu unterstützen. Ebenso sind wir immer auf der Suche nach Menschen, die gerne bei uns Deutsch, Mathematik, Englisch unterrichten oder ihre Computerkenntnisse weitergeben wollen. Wir sind niederschwellig, also keine Angst, ihr braucht keine spezielle Ausbildung. Voraussetzung ist nur, dass du Deutsch beherrscht und Spaß am Unterrichten hast. Frei nach dem Motto: „Jeder kann helfen. Jeder, jedem.“ – Ute Bock
Bilder: Flüchtlingsprojekt Ute Bock